Etikettentrinker. So werden manche Weinsnobs genannt, für die statt des Weingeschmacks vor allem der Markenname eines Weins zählt und das gute Gefühl, dass es schon immer ein bisschen teurer war, so zu tun, als habe man guten Geschmack. Überhaupt: Adelstitel, wuchtige Flaschen, hübsch designte Etiketten – all dieser suggestive Schnickschnack kann einen gewaltig irritieren und verführen. Nicht wenige Weintrinker lassen sich davon im Supermarkt oder in Weinhandlungen ins Bockshorn jagen.
Weinetiketten verstehen: Warum wir auf sie reinfallen
Es war ein typischer Versuchsaufbau: Wissenschaftler um Antonio Rangel vom Stanford California Institute of Technology sowie Kollegen aus Stanford baten eine Zufallsauswahl von 20 Probanden, Wein zu verkosten.
Die Teilnehmer waren allesamt keine Weinkenner, keine Sommeliers oder sonstige Experten – sie waren Weintrinker wie Sie und ich. Vor ihnen standen Flaschen, auf deren Etikett nicht wie sonst üblich der Weinname, Herkunft, Rebsorte oder Jahrgang angegeben war. Vielmehr stand darauf lediglich in großen Ziffern der Preis: 5 Dollar, 10 Dollar, 35 Dollar, 45 Dollar und 90 Dollar…
Dann nahmen die Probanden der Reihe nach einen Schluck von dem jeweiligen Wein und sollten ihn anschließend bewerten. Sie ahnen, was passierte…
Richtig: Der 90-Dollar-Wein erhielt die Bestnoten. Jedoch zu Unrecht.
Denn wie Sie ebenfalls richtig vermuten: Die Etiketten waren falsch.
Der 90-Dollar-Wein befand sich in zwei Flaschen:
- in der 10-Dollar-Flasche ebenso
- wie in der 90-Dollar-Flasche.
Dasselbe Spiel beim 45-Dollar-Wein: Er befand sich sowohl in der 5-Dollar-Flasche als auch in der 45-Dollar-Flasche. Die Testpersonen erkannten das nicht ein einziges Mal. Aber am Ende waren alle davon überzeugt, dass ihnen der 90-Dollar-Wein am besten geschmeckt hattee.
Jetzt wäre es ein Leichtes über die Probanden zu urteilen und sie allesamt als Snobs abzutun, die mutmaßlich nicht mal ein Weinetikett verstehen. Doch damit läge man ebenso falsch: Die Stanford-Wissenschaftler unterzogen bei einem weiteren Experiment die Gruppe zusätzlich einem Hirnscan in einem sogenannten Kernspintomograph. Und siehe da: Jedes Mal, wenn die Teilnehmer dachten, den teuersten Wein zu trinken, feuerten die Neuronen, was das Zeug hielt – was ihnen wiederum wahre Glücksgefühle bescherte.
Und beim billigen Wein? Genau: Dabei passierte nichts. Oder sagen wir: kaum etwas Nennenswertes.
Weinetiketten lesen: Ihre suggestive Kraft
Schämen müssen wir uns dafür übrigens nicht, findet auch die Marketing-Professorin an der Universität von Michigan Aradhna Krishna. Ganz oft trinken wir Wein "mit unseren Augen" wie sie es metaphorisch ausdrückt.
Hand aufs Herz: Wie oft haben Sie schon eine Flasche Wein gekauft, weil Ihnen das Etikett irgendwie gefallen hat – ohne dass Sie das Weinetikett verstehen wirklich konnte?
Moderne Schrift, ein schickes Motiv, Goldrand vielleicht… Am Ende sagt das Label: Dieser Wein müsste eigentlich viel mehr kosten. Und wir schlagen natürlich prompt zu. Ein Schnäppchen. Bestimmt!
Oder aber die animierenden Texte auf der Rückseite, die uns irgendetwas von fruchtigen Aromen, würzigen Düften oder cremigem Schmelz erzählt – da setzt sofort der unkontrollierte Speichelfluss ein: Müsste man mal probieren, den Wein. Klingt lecker!
Die Weinetiketten-Tricks der Profis
David Schuemann, seines Zeichens Marken- und Etiketten-Designer, der schon seit mehr als einer Dekade Weinlabel gestaltet und darüber eine Buch veröffentlicht hat – "99 Bottles of Wine" -, gibt selber zu:
"Wir haben unsere Weine immer 10 Dollar teurer aussehen lassen als sie tatsächlich wert waren."
Teils mit einfachsten Etiketten-Tricks:
- Goldfolie mit Siegel-Relief, Goldränder oder goldene Schrift wirken prompt hochwertiger.
- Eine dritte Dimension und 3D-Effekte in der Schrift (etwa durch Schattierungen) fallen mehr auf.
- Teure Label verwenden gerne Cremeweiß (statt Reinweiß) als Hintergrundfarbe.
- Vor allem aber ein minimalistischer Stil und stark reduzierte Elemente auf dem Label werden mit kultivierten Weingütern und vollendetem Geschmack assoziiert.
Kaum ein Bereich der Flasche werde außer Acht gelassen. Selbst das kleine Stück Metal auf der Verschlusskappe, die sogenannte Kapsel, werde genutzt, um mit irgendwelchen Prägungen, Logos und Symbolen potenzielle Kunden zu manipulieren.
Und tatsächlich: All diese Tricks täuschen uns nicht nur bei der Kaufentscheidung, sondern auch später beim Weintrinken.
Oder wie eben Aradhna Krishna bei ihren Studien herausgefunden hat:
"Je besser uns das Etikett gefällt, desto besser schmeckt uns auch der Wein."
So konnte Sie zum Beispiel nachweisen: Wenn die teils kryptischen Beschreibung auf der Rückseite (wenn überhaupt jemand das Weinetikett versteht) dafür sorgt, dass wir ein fruchtiges Bouquet erwarten und uns schon vorstellen, wie der Wein auf der Zunge schmeckt – dann schmecken wir beim ersten Schluck tatsächlich mehr und eben auch jene Aromen, die wir uns praktisch wünschen. Der Wein hält also sein eigenes Etikettenversprechen. Allerdings vor allem eingebildet. Und wir fallen auch das nächste Mal wieder auf all die hübschen Label rein…
Es ist nicht die einzige Studie ihrer Art:
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Geschichten
Schon im Juni 2013 dokumentierten Pierre Mora und Florine Livat von der Universität von Florenz, wie sich ein bisschen Storytelling auf der Flasche auf Geschmack und Wertgefühl eines Weins auswirken. Offenbar reicht es schon, eine kleine Geschichte über das Weingut, die Rebstöcke und die Region auf die Rückseite zu schreiben, schon sind wir bereit, mehr für den Wein auszugeben.
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Beschreibung
Das Wissenschaftler-Duo Baba Shiv und Ab Litt von der Stanford Universität manipulierte 2011 hingegen nur minimal die Weinbeschreibung. Sie ließen zwei Gruppen denselben Wein verkosten. Zuvor bekamen beide ein kurze Beschreibung, die sich nur in einem Punkt unterschied: In einem Text stand, einige Jahrgänge (nicht dieser) hätten mitunter einen "sauren Unterton" gehabt. Das änderte das Geschmackserlebnis jedoch dramatisch: Prompt schmeckte der Wein der betroffenen Gruppe wesentlich schlechter.
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Hintergrundmusik
Im Jahr 1999 wiederum konnten Psychologen um Adrian North von der Universität von Leicester nachweisen, welchen Einfluss selbst so etwas Banales wie die akustische Kulisse hat. Als sie bei ihren Ladentests im Hintergrund deutsche Lieder laufen ließen, verkaufte sich der deutsche Wein besser als alle anderen Weine.
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Weinfarbe
Gil Morrot vom National Institute for Agronomic Research in Montpellier fand derweil heraus, wie allein die Weinfarbe Geschmack verändert. In seinen Experimenten führte er seine Probanden hinters Licht, indem er Weißwein mit geschmackloser Lebensmittelfarbe in Rotwein verwandelte. Prompt schmeckten die Tester Aromen, die zwar in typischem Bordeaux, nicht aber in diesem Wein vorkommen konnten.
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Weinname
Und dann gibt es da noch die amüsante Studie von Antonia Mantonakis von der Brock Universität in Kanada, wonach auch der Umstand, ob und wie leicht wir den Namen eines Weinguts oder der Abfüllung aussprechen können, den Wein anders schmecken lässt. Vereinfacht gesagt kam dabei heraus: Je lieblicher der Name, desto leckerer der Wein.
An all den Studien merken Sie aber schon, wir "schmecken" keinesfalls nur den Wein, sondern nehmen ihn auch durch Vorurteile und unser Unterbewusstsein wahr.
Weinetiketten richtig lesen: Was auf das Flaschenlabel gehört
Damit Sie künftig das Weinetikett verstehen und richtig lesen können, bringen wir jetzt noch etwas Licht ins mystische Dunkel. Klassischerweise enthalten Weinflaschenetiketten wesentliche Informationen über den Inhalt der Flasche. Dazu gehören:
- Der Weinname
- Die Traubensorte(n) aus denen der Wein gemacht wurde (in Prozent)
- Der Jahrgang
- Die Herkunft – also Weingut oder Winzer
- Die Güteklasse (bei Qualitätswein)
- Der Alkoholgehalt
- Sowie eventuelle Zusätze
Vor allem Letztere müssen seit 2012 laut EU-Beschluss Warnhinweise für Allergiker enthalten.
Hintergrund ist, dass bei der Weinherstellung teils Milchprodukte und andere Zusätze eingesetzt werden, um sogenannte Trubstoffe (nicht Trübstoffe) aus dem Wein herauszufiltern. Laut den Weinherstellern werden etwaige anfallende Eiweissflocken zwar anschließend wieder entfernt, sodass für Allergiker keine Gefahr bestehe. Doch hat das die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) nicht überzeugt.
Ein Restrisiko bestehe – vor allem bei Rückständen von Kasein und Albumin. Allerdings gilt die Warnhinweispflicht auf Weinetiketten nicht für alle Weine gleichermaßen, sondern erst wenn der Grenzwert von 25 Mikrogramm/Liter überschritten wird und die aus Ei gewonnenen Klärungsmittel Lysozym und Albumin oder Milch-(Casein)-Erzeugnisse nachweisbar sind. Dann allerdings muss auf Etiketten so etwas stehen, wie:
Also: "Enthält…"
- Milch
- Milchprodukte
- Milchprotein
- Milchkasein
- Ei
- Eiprodukte
- Eiprotein
- Eialbumin
- Eilysozyme
Oder ganz allgemein: Enthält Sulfite, Milch, Ei.
Weinetikett verstehen: Sparen beim Weinkauf
Am Ende ist es bei Weinetiketten und beim Weinkauf so wie bei vielen Konsumentscheidungen: Viel zu oft lässt sich unser Gehirn einen Streich spielen und wir schließen vom Preis auf die Qualität oder auf den Geschmack. Riesenfehler!
Dieses Phänomen machen sich Neuromarketing-Experten regelmäßig zunutze, um uns das Geld aus der Tasche zu locken.
Das Ganze hat schließlich auch mit dem sogenannten Anker-Effekt zu tun. Kennen Sie nicht? Doch, bestimmt! Nur vielleicht nicht unter diesem Namen.
Der Ankereffekt stammt aus der psychologischen Trickkiste der Verkäufer: Vom dem us-amerikanischen Verhaltensökonomen Dan Ariely stammt zum Beispiel das folgende Experiment: Er versteigerte Weinflaschen. Zuvor allerdings ließ er seine Probanden die letzten beiden Ziffern ihrer Sozialversicherungsnummer auf einen Zettel schreiben und fragte sie, ob Sie bereit wären, den Wein zu diesem Preis zu kaufen.
Man sollte meinen, dass dieser völlig willkürliche Preis keinerlei Effekte hat. Hatte er aber: Probanden mit einer kleinen Endziffer waren bereit, im Schnitt 8,64 Dollar für den Rebsaft zu bezahlen; wer hingegen eine große Zahl notiert hatte, gab für den Wein im Schnitt 27,91 Dollar aus.
Wohlgemerkt, für denselben Wein!
Genau das ist der Ankereffekt: Um den Wert einer Sache bemessen zu können, sucht unser Gehirn verzweifelt nach Vergleichswerten. Findet es diese nicht, reicht ihm zur Not auch eine völlig aus der Luft gegriffene Zahl als Bezugspunkt – den Preisanker eben. Dass das so ist, bewiesen schon die Psychologen Clayton R. Critcher und Thomas Gilovich: Gäste eines Restaurants mit dem Namen "Studio 97" gaben darin durchschnittlich 8 Dollar mehr aus als die Gäste des Restaurants namens "Studio 17".
Geschmack ist Geschmackssache – und unabhängig vom Preis
So ist es auch beim Weinkauf – egal, ob Sie das Weinetikett verstehen oder nicht: Bevor Sie den Wein nicht probiert haben, sucht Ihr Gehirn nach einem Bezugspunkt für die mögliche Qualität des Weines. Je mehr Sie sich auskennen, desto stärker werden Sie sich suggerieren, das allein aufgrund von Jahrgängen, Lagen oder Rebsorten oder eben wegen des Weinetiketts tun zu können. Der Preis spielt immer eine Rolle. Selbst nachdem Sie den Wein gekostet haben. Und nicht selten zu Unrecht.
Deshalb, daher und darum: Hören Sie allein auf Ihren Gaumen! Und wenn Sie mögen, auch auf unsere Empfehlungen. Genau das ist ja die Mission von Weinbilly.de. Nicht umsonst heißt unser Leitmotiv:
Das Leben ist zu kurz für teuren Wein.
PS: Falls Sie sich man nicht zwischen zwei Flaschen entscheiden können…
…Dann nutzen Sie doch einfach den sogenannten Decoy-Effekt. Auch das ist ein psychologischer Trick, der von dem amerikanischen Marketing-Professor Joel Huber entdeckt wurde
Er befragte 1982 seine Probanden, ob sie lieber in einem entfernten Fünf-Sterne-Restaurant speisen wollten oder in einem nahe gelegenen Drei-Sterne-Restaurant. Eine schwere Wahl, da keiner die tatsächliche Qualität der Restaurants kannte. Huber bot nun eine dritte Alternative an: Sie könnten auch in einem Vier-Sterne-Restaurant speisen, das allerdings noch weiter weg liege…
Genau genommen war das eine klassische Nicht-Information. Wissen die Leute jetzt mehr über die relevanten Vorzüge von Restaurant eins, zwei oder drei? Eben.
Allerdings passierte etwas Erstaunliches: Die Teilnehmer entschieden sich mit einem Mal ganz leicht für das Fünf-Sterne-Restaurant. Der Köder (englisch: decoy) formte für sie eine Art Maßstab, eine Messkrücke anhand derer sich die beiden anderen Optionen plötzlich viel leichter vergleichen ließen. Im konkreten Fall waren fünf Sterne besser als drei oder vier Sterne, der vermeintliche Vorteil des nahgelegenen Drei-Sterne-Lokals aber verflüchtigte sich in dem Moment, wo das dritte Gasthaus weit weg am Horizont erschien.
Mit Wein geht das übrigens genauso…